Fähigkeiten bei begrenzten Merkmalen

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Wer ist Barbara Bredner?
Barbara Bredner

Barbara Bredner berät seit 2003 Firmen bei der effizienten Datenaufnahme und Auswertung. Schwerpunktthemen in ihrer Arbeit sind statistische Versuchsplanung (DoE), Mess-System-Analyse, Prozess-Modellierung und Prozess-Fähigkeit. Als Diplom-Statistikerin verfügt sie damit über über langjährige Erfahrungen beim praxisbezogenen und anwendungsorientierten Einsatz von statistischen Verfahren. Neben der Projektberatung liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit in Trainings zu statistischen Themen, die sowohl als Inhouse-Seminare als auch als offene Seminare gebucht werden können.

Die Kunden von Barbara Bredner stammen aus den unterschiedlichsten Branchen (z. B. Medizingeräte, Automotive, Luftfahrt, Pharma, Logistik) und Tätigkeits- feldern (u. a. Entwicklung, Produktion, Management). Sie berät Unternehmen im deutschsprachigen Raum auf Deutsch und Englisch.

Barbara Bredner bietet auch auf ihrer Website www.bb-sbl.de ein umfassendes Tutorial zu zahlreichen statistischen Verfahren.

Weiterführendes ...
Was ist GMV?

GMV ist eines der mächtigsten Werkzeuge überhaupt

  • Hilft bei Entscheidungen
  • Findet und erkennt Fehler
  • Reduziert Formalismus
  • Fokussiert auf das Wesentliche
  • Entscheidet über die Verwendung anderer Werkzeuge
  • Ist universell einsetzbar

GMV ist Gesunder MenschenVerstand

Fähigkeiten bei technisch begrenzten Merkmalen

Von Barbara Bredner und Karl Stanger

"Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe" - dieser bekannte Spruch wird Winston Churchill zugeschrieben. Der Spruch beweist sich quasi selbst, denn es gibt keinen Hinweis darauf, dass Churchill ihn wirklich gesagt hat.
Wir stellen immer wieder fest, dass wir alle viel zu oft den Zahlen, die das Ergebnis einer statistischen Berechnung sind oder die auch nur eben im Display eines Taschenrechners stehen, blind vertrauen. Dabei würde uns manchmal eine simple Plausibilitätsbetrachtung die notwendigen Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse aufkommen lassen. Auch lösen wir uns vielfach völlig von der Technik, den Produktionsbedingungen und Messungen und betrachten nur die isolierten Zahlen.
Dabei liegt die Kunst darin, die wirklich existierenden Zustände mit Hilfe der Statistik zu modellieren und daraus den richtigen Schluss zu ziehen.

In diesem Artikel soll dargestellt werden, wie man mit korrekter Anwendung der Statistik und gleichzeitig angewandtem Prozesswissen Prozessfähigkeiten richtig berechnet.

Was sind technisch begrenzte Merkmale?

Technisch begrenzte Merkmale kann man am leichtesten mittels Beispiele erfassen:

Es handelt sich also bei technisch begrenzten Merkmalen um Merkmale, bei denen diese Grenze aus physikalischen / technischen Gründen nicht über- bzw. unterschritten werden kann.

Die Statistik und die technische Grenze

Wenn man einmal eine Normalverteilung genauer betrachtet, so erkennt man, dass sie von - unendlich bis + unendlich reicht. Modelliert man die Länge von Meterholz (geschnittene Holzstücke von einem Meter Länge) mit der Normalverteilung, so bedeutet das, dass es rein statistisch gesehen Holzstücke von 500 m Länge geben kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar sehr klein, aber nicht 0. Technisch gesehen ist das unmöglich, da Bäume keine 500 m hoch werden.
Ebenso kann es statistisch gesehen Holzstücke geben, die eine negative Länge haben; auch dafür ist die Wahrscheinlichkeit nicht 0. Technisch gesehen ist es unmöglich, negative Längen zu haben.

Histogramm Rauheit mit Normalverteilungskurven

Wann ist eine technische Grenze für die Prozessfähigkeit relevant?

Wie im Beispiel zur Länge von Meterholz beschrieben gibt es streng genommen fast immer eine techniche Grenze. Allerdings ist diese Grenze in den meisten Fällen für die Prozessfähigkeit nicht relevant.

Wichtig wird eine technische Grenze dann, wenn sie die Fähigkeitsbewertung beeinflusst. Als Daumenregel wird hier die 3S-Grenze verwendet: Liegt die technische Grenze näher als die 3-fache Standardabweichung vom Mittelwert entfernt, ist sie für die Prozessfähigkeit relevant und muss berücksichtigt werden.

Hat beispielsweise das nullbegrenzte Merkmal "Ebenheit" einen Mittelwert von 2 und eine Standardabweichung von 1, liegt die technische Grenze 0 nur das 2-fache der Standardabweichung vom Mittelwert entfernt. In diesem Fall muss die technische Grenze bei der Proezssfähigkeit berücksichtigt werden.

Ist dagegen der Mittelwert des nullbegrenzten Merkmals "Ebenheit" 2 und die Standardabweichung 0,5, liegt die technische Grenze 0 4*Standardabweichung vom Mittelwert entfernt. Hier ist die technische Grenze für die Prozessfähigkeit nicht relevant und kann unberücksichtigt bleiben.

Die Abbildung links zeigt Messwerte des nullbegrenzten Merkmals "Rauheit". In diesem Beispiel liegt der Mittelwert näher als das 3-fache der Standardabweichung von der technischen Grenze (TeG) entfernt. Die gestrichelte Normalverteilung ist als Verteilungsmodell für die Messdaten ungeeignet, da ein deutlicher Anteil der Normalverteilungskurve unterhalb der technischen Untergrenze ist.

Unterschied Toleranzgrenze und technische Grenze

Diese Grundsätze gelten auch für obere technische Grenzen (z. B. technisch maximale Füllmenge von 1 Liter Flaschen) und obere Toleranzgrenzen (erwünschte maximale Füllmenge). Wegen der unterschiedlichen Bedeutungen von Toleranzgrenzen und technischen Grenzen werden die verschiedenen Grenzwert-Arten bei der Prozessfähigkeitsbewertung unterschiedlich berücksichtigt.

Prozessfähigkeit bei einseitiger Toleranz und technischer Grenze

Wenn es für ein Merkmal nur auf einer Seite eine Toleranzgrenze gibt, wird für die Prozessfähigkeitsbewertung ausschließlich der Cpk-Wert an dieser Seite verwendet (vgl. DIN ISO 21747:2006, ISO 22514-4:2007). Das gilt unabhängig von einer möglichen technischen Grenze.

Der Cp-Wert ist nur dann sinnvoll anwendbar, wenn ein Merkmal zwei Toleranzgrenzen hat (siehe auch Prozessfähigkeit bei technisch begrenzten Merkmalen).

Verteilungsformen

Wann ist welche Verteilung passend?

Verteilungen entstehen in ganz bestimmten Mess-Situationen. Um die passende Verteilung auszuwählen, muss deshalb zuerst mit GMV eine geeignete Verteilungs-Art ausgewählt werden.

Denn viele Verteilungen sehen sich sehr ähnlich und auf den ersten Blick scheint es so, als wären sie untereinander austauschbar. Tatsächlich ist "passend" aber nicht nur von der Form abhängig, sondern auch noch von anderen Eigenschaften.

Das lässt sich mit der "passenden" Kleidung vergleichen: Ein Business-Hemd ist für die Arbeit im Büro passend. Ein Hawaii-Hemd passt dagegen eher an den Strand. Und ein Arbeitshemd ist eine geeignete Arbeitskleidung für die Arbeit an der Werkbank. Natürlich kann auch das Business-Hemd an der Werkbank, das Arbeitshemd am Strand und das Hawai-Hemd im Büro getragen werden. Es ist allerdings in den seltensten Fällen die passende Kleidung. Genauso verhält es sich mit den Verteilungen: Je nach Anwendungsfall sind unterschiedliche Verteilungen passend.

Häufig verwendete Verteilungen und ihre Anwendungsbereiche

Für die oben beschriebenen Anwendungsfälle "Ebenheit", "Rauheit" und "Paralleliät" sind damit nur zwei der genannten fünf Verteilungen anwendbar: die Normalverteilung oder die gestutzte Normalverteilung. Alle anderen Verteilungen passen nach GMV nicht zu der Mess-Situation, selbst wenn sie ähnlich aussehen.

In der Abbildung rechts sind verschiedene Verteilungen an die Rauheits-Messdaten aus der vorherigen Abbildung angepasst worden. Die Lognormal-Verteilung (gepunktete Linie) scheint dabei die größten Unterschiede zu den anderen Verteilungen zu haben. Die logistische Verteilung (Punkt-Strich) und die Normalverteilung (lange Striche) haben Werte unterhalb der technischen Untergrenze. Die gestutzte Normalverteilung (dirchgezogene Linie) und die Weibull-Verteilung (kurz-lange Striche) scheinen dagegen relativ ähnlich und an der oberen Spezifikationsgrenze nahezu deckungsgleich zu sein.

Sind die Unterschiede überhaupt praxisrelevant?

Auch wenn die Verteilungen leicht unterschiedlich aussehen, könnten diese Unterschiede für die Praxis irrelevant sein. Tatsächlich sind sie sehr wichtig für die Prozessfähigkeitsbewertung, wie ein Vergleich der Prozessfähigkeits- und ppm-Werte zeigt.

Für das Beispiel "Rauheit" berechnen sich die Cpk- und ppm-Werte nach den verschiedenen Verteilungen zu:

Verteilung Cpk ppm
gestutzte Normalverteilung
Betragsverteilung 1. Art
1,17 227
Normalverteilung 1,24 99
Logistische Verteilung 0,96 1730
Lognormal-Verteilung 0,45 24492
Weibull-Verteilung 1,08 613

Die gestutzte Normalverteilung mit Cpk=1,17 und 227 ppm ist die geeignete Verteilung für die "Rauheit". Wie in der Abbildung zu sehen bewertet die Lognormal-Verteilung die Prozessfähigkeit an der oberen Spezifikationsgrenze deutlich schlechter (Cpk=0,45, ppm=24492). Bessere Werte werden mit der logistischen Verteilung (Cpk=0,96, 1730 ppm) und der Weibull-Verteilung (Cpk=1,08, 613 ppm) errechnet. Die Lognormal-, logistische und Weibull-Verteilung unterschätzen die Fähigkeit. Dagegen wird die Prozessfähigkeit mit der Normalverteilung mit Cpk=1,24 und ppm=99 überschätzt.

Die Unterschiede zwischen den Verteilungen bei den Prozessfähigkeits- und ppm-Werten sind damit praxisrelevant. Für zuverlässige Cpk- und ppm-Werte muss die geeignete, zur Mess-Situation passende Verteilung ausgewählt werden. (Nach der Auswahl sollte immer geprüft werden, ob die Messdaten mit dieser Verteilung gut beschrieben werden können.)

Weitere technische Grenzen

Die oben erwähnten technischen Grenzen sind offensichtlich. Es gibt aber noch viele andere technische Grenzen, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Typisch sind z.B. technische Grenzen bei Merkmalen im Stanzwerkzeugen.

Skizze Stanzwerkzeug
Skizze mit freundlicher Genehmigung von FIBRO Normalien 2013, Hauptkatalog, Präzisionsteile Kapitel E, E32

Lochdurchmesser bei gestanzten Löchern

Die nebenstehende Skizze zeigt den Aufbau eines Stanzwerkzeuges. Das schwarze Rechteck stellt das zu stanzende Blechteil dar. Wenn das Werkzeug zusammenfährt, schneidet der Schneidstempel ein Loch in das Blechteil. Der Abfall wird durch die Schneidplatte (auch Matrize genannt) nach unten weggedrückt.

Der Verschleiß ist am Schneidstempel am größten. Man kann sich vorstellen, dass dieser Stempel immer wieder durch ein Blech durchschneiden muss und, obwohl er vergütet ist, schabt sich bei jedem Stanzvorgang ein wenig Material vom Schneidstempel ab. Der Stempel wird also im Lauf der Zeit durch den Verschleiß dünner.

Was passiert aber mit der Schneidplatte? Wird diese nicht größer? Nein, wird sie nicht bzw. nur unwesentlich. Das kommt daher, dass sie eigentlich nur als Auflage dient und durch den Schneidvorgang wesentlich weniger belastet wird, als der Schneidstempel; die Schneidplatte macht keine Bewegung relativ zum zu stanzenden Blechteil.

Mit diesem Wissen legt der Werkzeugbauer seinen Stempel so aus, dass er am Größtmaß liegt, also an der oberen Toleranzgrenze. Durch den Verschleiß wird der Stempel immer dünner, bis er schließlich am Kleinstmaß, also der unteren Toleranzgrenze ankommt und ausgewechselt werden muss.

Folgerung für die Prozessfähigkeit

Die oben beschriebene Situation eines Schneidstempels kann als technische Grenze betrachtet werden. Die technische Grenze ist hier das Größtmaß des Stempels: größere Löcher kann man mit diesem Stempel nicht schneiden. Wir haben hier eine Situation mit der technischen Grenze als Toleranzobergrenze.

Kamm

Gilt das auch für andere Konturen beim Stanzen?

Prinzipiell git das für alle Schneidvorgänge, die beim Stanzen vorkommen. Es ist zu beachten, dass sich das bewegende Schneidwerkzeug, also der Schneidstempel, wie auch immer er geformt ist, dadurch, dass er beim Schneiden durch das Werkstück (Blech) durchtaucht, verschleißt. Das bedeutet, dass diese Kontur kleiner wird.

Wenn also ein Blechteil, wie rechts dargestellt, gestanzt wird, so hat der Schneidstempel eine Kontur, die in die Zähne des Kamms eintaucht. Die Zähne des Kamms (durch das Maß verdeutlicht) werden also größer, da der Schneidstempel kleiner wird.

Datensatz für die Beispiele

Falls Sie unsere Verteilungsformen und die daraus sich ergebenden Berechnungen nachvollziehen möchten, können Sie hier die Daten dazu herunterladen.

Fazit zur Anwendung technischer Grenzen in der Statistik

Es gibt nicht nur die offensichtlichen technisch begrenzte Merkmale, wie z.B. die Ebenheit; es gibt noch viele andere technisch begrenzte Merkmale. Um diese zu erfassen, muss man allerdings die sich dahinter verbergende Produktionstechnik kennen. Wenn man diese kennt, kann man die Regeln für die statistische Behandlung dieser Grenzen anwenden.